Zu schön, um wahr zu sein

16. Juni 2025

Ich öffnete wieder meine Augen und schaute meine Mutter mit müden Augen an. Sie diskutierte gerade mit Alina, was sie später einmal aus ihrem Leben machen will. Wir hatten gerade Besuch, von der Schwester meines Vaters, mit ihrem Mann und drei älteren Kindern, eine davon Alina, die alle zwischen 13–17 Jahre alt sind. Aber um ehrlich zu sein, wusste ich das nicht so genau, denn ich war ja noch nicht alt genug, um ihre «coolen» Gespräche zu verstehen, und wenn ich nachfragte, kam immer meine Lieblingsantwort: «Später wirst du das einmal verstehen, aber jetzt sollte das ein Siebenjähriger noch nicht wissen.» Und so kam es dazu, dass ich, ohne eine Beschäftigung, am Tisch sass und fast einschlief. Meine Augen fielen zu und ich verließ langsam den Esstisch und kehrte in meine Gedankenwelt zurück.

Ich war einer von vier Superhelden in dieser Welt, deren Ziel es war, einen bösen Mann zu bekämpfen. Wir rannten zu viert auf diesen riesigen, ganz in dunklen Klamotten gekleideten Mann zu. Ich sprang mit einem riesigen Sprung vom Boden ab und stürzte mich dann von oben auf den Mann. Als ich den Mann gerade erreichte, packte mich meine Mutter sanft an der Schulter und riss mich somit aus meiner Gedankenwelt. «Willst du nicht einkaufen gehen?», fragte sie mit einem Lächeln. «Wir brauchen noch Zutaten fürs Abendessen.» Ich willigte, ohne zu zögern, ein, denn alles war besser, als hier einfach still zu sitzen. Sie drückte mir Geld, einen Einkaufszettel und eine Tüte in die Hand. Kurz bevor sie mich losschickte, drückte sie mir noch einen weiteren Geldschein in die Hand und flüsterte mir dabei ins Ohr: «Das kannst du so brauchen, wie du es willst.»

Ich rannte mit viel Freude, auf all die Süßigkeiten, die ich kaufen könnte, durch die Straßen. Vor dem Einkaufszentrum sah ich einen riesigen Mann, der ganz schwarze, zerfledderte Kleider anhatte, die er bestimmt nicht zum ersten Mal trug. Ich hielt ein bisschen Abstand zu ihm, da ich Angst vor ihm hatte. Kurz bevor er die Treppe hinunterging, fiel ein Geldschein aus seiner Hosentasche, doch er ging einfach weiter. Ich hob den zerfledderten Geldschein vom Boden auf, da realisierte ich erst, dass es ein Zwanziger war. Vor lauter Freude machte ich einen kleinen Freudentanz. «Ich kann jetzt noch viel mehr Schokolade kaufen», dachte ich. Ich rannte vor lauter Freude drauflos, in den Supermarkt rein, direkt zu der Süssigkeiten Abteilung. Es kam mir alles so vor, als wäre ich immer noch am Träumen, es war alles zu schön, um wahr zu sein. Dann, als ich gerade bemerkte, wie viel Wichtigeres man mit Geld kaufen kann, packte mich das schlechte Gewissen. Dieser Mann sah nicht so aus, als könnte er sich viel kaufen oder als würde es ihm gerade perfekt gehen, im Gegensatz zu mir, der fröhlich mit seiner Familie unter einem Dach lebt, von seinen Eltern immer genug zu essen bekommt und sogar noch extra Geld zum Süßigkeiten kaufen bekommt. Nein, so ein schönes Leben hatte der Mann nicht.

Ich legte alle Süßigkeiten wieder an ihren Platz und fing an, durch den Supermarkt zu rennen, um den Mann zu finden. Ich rannte durch den ganzen Laden, bis ich wieder vor dem Eingang stand, da sah ich ihn – den in ganz schwarzen, zerfledderten Kleidern gekleideten Mann, der hektisch am Boden etwas suchte. Als ich ihn erblickte, bekam ich es wieder mit der Angst zu tun. Ich hatte schon wieder vergessen, wie groß und stark er aussah – er sah fast so aus wie mein Superschurke aus dem Traum, gegen den ich gekämpft habe. Ich ging Schritt für Schritt näher, mein Herz fing an, immer schneller zu schlagen, die Geräusche der Kasse wurden immer lauter, die Lichter wurden immer stärker. Er war immer noch in seine Suche vertieft – nach dem Geldschein, den ich ihm gestohlen habe. Als ich nur noch eine Armlänge hinter ihm stand, klopfte mein Herz so laut, dass ich dachte, dass es jeder hören könnte. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, um ihn anzusprechen. Als ich sprechen wollte, kam aber kein Ton heraus. Langsam überkam mich die Verzweiflung, doch ich beschloss, noch ein letztes Mal all meinen Mut zusammenzunehmen. Ich ging den letzten Schritt, sodass ich nur noch eine Haaresbreite hinter ihm stand, und tippte ihm, mit dem letzten Mut, den ich hatte, ans Bein.

Ende